Frühling lässt sein blaues Band

 

Wieder flattern durch die Lüfte;

 

Süße, wohlbekannte Düfte

 

Streifen ahnungsvoll das Land.

 

Veilchen träumen schon,

 

Wollen balde kommen.

 

Horch, von fern ein leiser Harfenton!

 

Frühling, ja Du bist 's!

 

Dich hab’ ich vernommen!

 

 

Eduard Mörike (1804-1875)

 

 


Bei uns im Pustertal sagt man zum Frühling "Langis". Das Wort bezieht sich auf die länger werdenden Tage; es drückt die Freude der Menschen aus über den zu Ende gehenden harten und schneereichen Winter. Im Langis wird es allmählich wärmer, das Licht und die Lebensgeister kehren zurück.



Langis (aus der Erzählung "Mathes vom Hauserhof" von Josef Huber)

 

Der Langis (Frühling) schenkte mir jedes Mal ein besonderes Erlebnis. Ich liebte die schneereichen Winter, aber Mitte März schmolz das zarte Weiß dahin. Vor dem Haus grub der Vater kleine Wale (Rinnen), in denen das Wasser ablaufen konnte. Kühe und Kälber sprangen mit jedem Tag übermütiger in die Peinte hinab und tranken von dem kühlen Nass. Mein Vater zeigte mir das Raut und das Loach, in dem der Schnee fast zur Gänze verschwunden war. Raut und Loach schlossen rechts an das Innerfeld an, das neben dem Außerfeld begann. Aus den Wiesen lief das Wasser schnell zu Tal, und das braune Gras kam darunter neugierig hervor.

„Das sind die Zeitlosen“, erklärte mir mein Vater.

Die zarten Blümchen schossen in wenigen Tagen aus dem nassen Boden im Raut. Ich kniete zwischen den Zeitlosen am Boden und zerrupfte die Blüten. Sie waren zart und weich und schienen es mir übel zu nehmen, dass ich sie aus dem Boden gezogen hatte.

„Mathes, Mathes“, rief meine Mutter verärgert und ein bisschen ängstlich, als sie mich allein am Hang entdeckte.

„Ich komme“, rief ich, und lief zur Mutter zurück.

Das beruhigte sie. Ich war der Erstgeborene, da musste man sehr auf mich Acht geben.

 

In einer Osterwoche wurde meine Schwester Elisabeth geboren. Es war Karfreitag, und meine Mutter konnte deshalb nicht in die Kirche gehen. Ich war neugierig, wie meine Schwester aussah. Ihr schmales Gesichtchen sah mich fragend an. Da hörte ich ein Geräusch am Fenster. Ich drehte mich um.

„Nasrun“, sagte ich vorwurfsvoll. „Nicht so laut, niemand soll dich sehen und hören außer mir.“

Nasrun verschwand wieder. Am gleichen Nachmittag eilte ich zum Waldwasser hinab, ganz allein, damit niemand mich sehen sollte. Ich sah Nasrun wieder und beruhigte ihn. Er würde mein Freund bleiben, auch wenn ich nun eine Schwester hatte.

Die Glocken läuteten in der Osternacht und vertrieben das Schweigen. Das violett verhüllte Kreuz war wieder mit dem Heiland sichtbar. So nannte ihn meine Mutter. Ich begriff, dass es ein ganz wichtiger Gottmensch war, dessen Gebote ich nun halten musste. Am Ostermorgen schien die Sonne so herrlich warm, als wäre es schon früher Sommer.

Balthasar war um Lichtmess wieder auf unseren Hof zurückgekommen. Er hatte es beim Leitl doch nicht so einfach gehabt. Der Vater nahm ihn gerne wieder auf.

 

 

Walpurgisnacht

 

„Kann ich mit dir zu den Hexen gehen, Balthasar?“ bat ich. „Es kommt bald der erste Mai.“

„Aber Bub, da ereignen sich so fürchterliche Dinge. In der Walpurgisnacht sausen die Hexen durch die Luft, reiten wild auf ihren Besen, dass es zum Fürchten ist, Mathes. Die Hexen tanzen am Berg oben, der Wind heult durch die Luft, und kein Pfarrer kann ihnen beikommen.“

„Wir nehmen Weihwasser mit, Balthasar, mit dir fürchte ich mich nicht“, versicherte ich.

„Hm“, sagte der Balthasar. „Also wenn du unbedingt willst. Morgen ist der 30. April. In der Nacht auf den 1. Mai kommen sie alle zusammen. Aber du musst sehr tapfer sein, Mathes“, sagte Balthasar geheimnisvoll.

„Wo finden wir die Hexen, Balthasar?“, wollte ich wissen.

Balthasar sah mich prüfend an:

„Gehst du wirklich mit? Dann morgen Nacht, Mathes, wir gehen in die Kammerwiese hinauf, in den Hauserwald.“

Ich fieberte dem folgenden Tag entgegen. Den Eltern sagte ich nichts. Balthasar würde mich rechtzeitig wecken. Ich schlief gar nicht erst ein. Plötzlich kratzte es leise an meinem Kammerfenster.

„Nasrun“, sagte ich. „Komm mit mir, wache über mich, Nasrun. Ich brauche dich heute Nacht“, flüsterte ich.

Ich verließ heimlich meine Kammer und stapfte hinter Balthasar her. Wolken verhangen umkroch uns die Frühlingsnacht. Nach etwa einer halben Stunde hatten wir keuchend die Kammerwiese erreicht. Ein Fichtenzapfen fiel zu Boden. Ich erschrak nicht.

„Nasrun“, sagte ich leise.

Es wurde ganz still. Balthasar war plötzlich verschwunden. Ich hatte es nicht bemerkt. Da rauschte es in der Luft, die Bäume erschauerten in Angst. War es ein Windschlag? Ich sah ein Feuer auf dem kleinen Erdhügel in der Mitte der Kammerwiese. Es zischte und zündelte, krachte und knisterte. Da flog eine Hexe als Feuerstrahl durch die Luft. Ich konnte den Besen genau erkennen. Aus dem Feuer stiegen die Hexen nun nacheinander zu den Baumkronen auf, und schon war von dort ein grausiges Heulen und Schnattern zu vernehmen. Ich zitterte. Da spürte ich Nasruns dünne Finger, die meine Schulter umspannten. Eine Kühle durchströmte meinen Körper und verlieh mir Geborgenheit.

Nasrun war zu mir gekommen. Ich fühlte mich beschützt und sah nun fast ohne Angst auf das Hexenfeuer. Aus den Baumkronen heulte und greinte es fürchterlich. Die Hexen unterhielten sich laut in ihrer Sprache, die niemand verstehen kann. War der böse Geist selber aus der Hölle gestiegen und hatte sich zu den Ungeheuerlichen gesellt, um mit ihnen Böses zu treiben?

Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Mein ganzer Körper erkaltete. Musste ich jetzt sterben und den Hexen in ihre tiefen Waldhöhlen folgen? Dann würden mich meine Eltern nicht wieder finden. Nasrun hielt mich schützend fest.

Plötzlich wurde es still. Nichts regte sich mehr. Der Druck auf meinen Schultern ließ nach. Ich konnte wieder atmen.

„Es ist alles vorbei, Mathes“, sagte Balthasar plötzlich. Woher war er plötzlich gekommen?

Ich brachte keinen Laut hervor. Stumm folgte ich dem Knecht zum Hof zurück. Als es Morgen wurde, hatte ich noch keinen Schlaf gehabt. Den Eltern verriet ich kein Wort.